Ich bin doch schon so lange Kunde und trotzdem wurde ich über den Tisch gezogen.
Ich bin doch schon so lange Kunde und habe meinem Bankberater vertraut.
Ich bin doch schon so lange Kunde und trotzdem wurde mir diese Schrottimmobilie angedreht.
Solche oder ähnliche Aussagen kommen nicht selten in Verbrauchermagazinen wie WISO, Sendungen wie FAKT oder Plusminus von frustrierten Bankkunden zur Sprache.
Wird Vertrauen ausgenützt, dann ist dies bitter – ohne Zweifel.
Besonders bei medizinischen Einschätzungen und bei Fragen rund um die eigene Geldanlage können Fehler besonders nachhaltige Konsequenzen nach sich ziehen.
Lange Kundenzugehörigkeit – Anlass für blindes Vertrauen?
Die Grundfrage ist folgende: Sollte sich aus einer langen Kundenzugehörigkeit ein hohes Maß an Loyalität und Vertrauen gegenüber einer spezifischen Bank ableiten?
Mein Großvater sagte immer, dass er so ein Vertrauensverhältnis zur Deutschen Bank habe. Damals (lange her) dachte ich mir bereits, wer ist eigentlich die Deutsche Bank? Als Begriff und Großbank war mir dieses Institut natürlich bekannt, aber intuitiv empfand ich die Aussage meines Großvaters als zu pauschal.
Von 100.000 Mitarbeitern kannte er ganz offensichtlich nur relativ wenige Mitarbeiter persönlich. Bei regelmäßigen Beraterwechseln ubertrug er jedoch die Loyalität von Berater A auf den neuen Berater B. Daraus konnte man schließen, dass er der gesamten Bank sein Vertrauen schenkte und dies auch auf die einzelnen Mitarbeiter übertrug.
Wer ist die Bank?
Eine Bank ist in erster Linie eine Firma. Dies unabhängig der Frage, ob die Bank als Privatbank, Genossenschaftsbank, Sparkasse oder Großbank organisiert ist.
Für Richard Branson ist eine Firma das folgende:
A company is simply just a group of people
Bist Du Kunde einer Bank, dann wirst Du von einem Mitarbeiter dieser Bank betreut. Banken sind typischerweise keine Kleinbetriebe und im wesentlichen so organisiert, dass die Firma – unabhängig von Einzelpersonen – funktionieren kann und sogar muss. Je kleiner und persönlicher die Bank ist, desto weniger gilt diese Aussage und andersherum.
Bei Großbanken darf es nicht sein, dass das Know-how eines einzelnen Mitarbeiters über die Zukunft des Unternehmens entscheidet.
Wir stellen also fest: Du sitzt als Kunde der Bank in einer Filiale und bist einem Mitarbeiter der Bank zugeordnet. Dieser Mitarbeiter hat letztlich Ziele, die sich aus den Unternehmenszielen ableiten.
Dieser Mitarbeiter kann wechseln. Er kann heute Huber heißen. Morgen heißt er vielleicht Müller. Bank(verkäufer)berater wechseln aus vielen Gründen.
Eine Entlassung aus Gründen fehlender Kompetenz ist dabei einer der unwahrscheinlichsten Gründe. Deutlich wahrscheinlicher ist es, dass der nächste berufliche Schritt des Mitarbeiters ansteht, der Bankberater mehr Verantwortung übernimmt oder zu einer anderen Bank wechselt.
Wenn Du also zum Beratungsgespräch anrückst, dann sitzt Dir nicht die Bank gegenüber, sondern ein Mitarbeiter, der im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses die Interessen seines Arbeitgebers vertritt. Die Interessen der Bank können natürlich deutlich von Deinen eigenen Interessen abweichen. Du willst z.B. langfristig und möglichst kostengünstig Vermögen aufbauen und der Bankberater ist i.d.R. nicht auf Jahrzente incentiviert, sondern darauf HIER und HEUTE einen Abschluss zu machen.
Interessiert es irgendjemanden wie lange Du schon Kunde bist?
Das kommt darauf an, aber oft interessiert es niemanden. Es kann nur einen einzelnen Mitarbeiter der Bank interessieren, wenn Du bereits lange Kunde bist und ein persönliches Verhältnis mit diesem Mitarbeiter hast. Ich empfehle Dir sonst folgenden Selbstversuch: Rufe bei der Bank, bei der Du schon sehr lange Kunde bist (Direktbanken zählen nicht), im Kundenservicecenter an und beobachte wie sehr es den Mitarbeiter am Telefon interessiert, wie lange Du schon Kunde bist :-).
Die Bank als juristische Person interessiert es jedenfalls nicht, da die Bank ja aus Menschen besteht.
Ob es also jemanden interessiert, hängt im wesentlichen von dem Engagement und Deiner persönlichen Beziehung zu Deinem Bankberater und von Deiner Qualität als Kunde ab.
Die kundenseitige Qualität definiert sich überwiegend durch zwei Faktoren: a) Ertrag heute b) Ertrag morgen
Was für einen Ertrag kann die Bank mit Dir heute machen und welches Potenzial hast Du in der Zukunft? Welchen Customer Lifetime Value hast Du für die Bank?
Beispiele für Ertrag heute (aus Sicht der Bank):
- Ausgabeaufschläge
- Rückvergütungen (sog. Kickbacks) bei aktiv verwalteten Fonds
- Versicherungsprodukte, je komplexer, desto besser 🙂
- …
Beispiele für keinen Ertrag* (aus Sicht der Bank):
- Einzelaktien
- Einzelne Anleihen
- Bankprodukte wie Tagesgeld, Festgeld, Girokonto, Sparbuch
- Börsengehandelte Indexfonds (sog. ETFs)
- …
*bzw. sehr geringe Marge in Form von Transaktionskosten
Beispiele für Ertrag morgen (aus Sicht der Bank):
- Soziales Umfeld, ggf. Empfehlungen zu anderen finanzstarken Kunden
- Potentielles Erbe
- Aussicht auf stark steigendes Einkommen
- …
Das ist im übrigen eine Betrachtung, die in jedem Unternehmen stattfindet. Zu einem speziellen Event werden nur die besten Kunden eingeladen.
Wer sind die besten Kunden? Die Kunden, die den größten Anteil am Umsatz ausmachen und damit am kritischsten für den Unternehmenserfolg sind. Bei vielen Unternehmen sind wenige Kunden für den Großteil des gesamten Erfolges verantwortlich. Theoretisch spricht man hierbei von dem sogenannten Paretoprinzip, d.h. 20% der Kunden sind für 80% des Unternehmenserfolges verantwortlich.
Konsequenzen für Privatanleger
Bei einem klassischen people business wie der Vermögensverwaltung oder dem Offline-Bankgeschäft kannst Du Loyalität nur von Menschen erwarten, aber nicht von der Firma als solches. Wie auch?
A company is simply a group of people
Die Ersetzbarkeit der Mitarbeiter auf Bankseite, gepaart mit falschen Anreizen und einer indirekten Bezahlung über Provisionen, sollten Anlass genug sein, sich eigenständig um Geldfragen zu kümmern und keine falsche Loyalität walten zu lassen. Was bei meinem Großvater gut gegangen ist, kann bei Dir schief gehen. Blindes Vertrauen ist bei Geldangelegenheiten kein guter Ratgeber.
Empfehlenswertes Buch von dem britischen Multimilliardär Richard Branson: